Nr. 308 BayObLG – BGB § 1896 I S. 1; FGG §§ 12, 68b

(3. ZS, Beschluß v. 24. 8. 2001 - 3Z BR 246/01)

Um zu vermeiden, daß in unverhältnismäßiger Weise in die Rechtsstellung des Betroffenen eingegriffen wird (hier wegen „Altersstarrsinns"), erfordert die Feststellung einer psychischen Krankheit oder seelischen Behinderung des Betroffenen deren fachpsychiatrische Konkretisierung und die Darlegung ihrer Auswirkungen auf die kognitiven und voluntativen Fähigkeiten des Betroffenen.
Gründe:

I.

Mit Beschluß v. 15. 12. 2000 bestellte das AmtsG für die Betroffene [Betr.] deren Tochter und Schwiegersohn zu Betreuern, und zwarje mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Abschluß, Änderung und Kontrolle der Einhaltung des Heim-/Pflegevertrages, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie Entgegennahme und Offnen der Post.

Die Beschwerde der Betr. ist gemäß Beschluß des LG v. 19. 1. 2001 ohne Erfolg geblieben. Hiergegen wendet sich die Betr. mit der weiteren Beschwerde.

 

II.

Das zulässige Rechtsmittel führt zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

1. Die Kammer hat die medizinischen Voraussetzungen für die Betreuerbestellung darin gesehen, daß die Betr. „an einer der in § 1896 I S. 1 BGB aufgeführten Krankheiten bzw. Behinderungen in Form des Altersstarrsinns" leide.

2. Diese Feststellung vermag die Betreuerbestellung nicht zu tragen. Die Kammer hat insoweit ihrer Aufklärungspflicht (§ 12 FGG) nicht genügt.

a) Die Bestellung eines Betreuers für einen Volljährigen setzt voraus, daß dessen Unfähigkeit, seine Angelegenheiten zu besorgen, auf einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung beruht (§ 1896 I S. 1 BGB).
! Die Begriffe der psychischen Krankheit bzw. seelischen Behinderung sind weder im BGB definiert, noch gibt es für sie eine allgemein anerkannte Definition (vgl. Jürgens, Betreuungsrecht, 2. Aufl., § 1896 BGB Rz. 3). Der Begriff der psychischen Krankheit bezieht sich auf die anerkannten Krankheitsbilder der Psychiatrie (vgl. Knittel, BtG, § 1896 BGB Rz. 2). Unter den Begriff der seelischen Behinderung fallen bleibende oder jedenfalls lang anhaltende psychische Beeinträchtigungen, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhen (vgl. BT-Drucks. 11/4528, S. 116; Jürgens, § 1896 BGB Rz. 6; Palandt/Diederichsen, BGB, 60. Aufl., 1896 Rz. 6). Damit sollen insbesondere auch Erscheinungen des Altersabbaus erfaßt werden, die in der hier nicht einheitlichen Fachsprache zum Teil nicht als Krankheiten angesehen werden (vgl. BT Drucks., a.a.O.). Von besonderer Bedeutung ist insoweit die senile Demenz, die ihre Ursache in der Alzheimerschen Krankheit, in Hirngefäßerkrankungen oder anderen degenerativen Hirnprozessen haben kann (vgl. Jürgens, § 1896 BGB Rz. 4; Wojnar, BtPrax 1992, 16, 19).

Um zu vermeiden, daß in unverhältnismäßiger Weise in die Rechtsstellung des Betr. eingegriffen wird, ist dessen psychische Krankheit oder seelische Behinderung fachpsychiatrisch zu konkretisieren (vgl. BayObLG, NJW 1992, 2100, 2101 = FamRZ 1992, 475 [LSe]) und sind deren Auswirkungen auf die kognitiven und voluntativen Fähigkeiten des Betr. darzulegen (vgl. Jürgens, § 1896 BGB Rz. 5).

b) Die Entscheidung des LG wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Die Feststellung, die Betr. leide an „Altersstarrsinn", entbehrt der für die Bejahung einer psychischen Krankheit oder seelischen Behinderung notwendigen Konkretisierung. Es ist nicht dargetan, inwiefern dem „Starrsinn" der Betr. etwa eine senile Demenz zugrunde liegt, die Betr. in ihrer Urteils- und Kritikfähigkeit aufgrund eines altersbedingten, fortschreitenden Abbaus von Nervenzellen des Gehirns beeinträchtigt ist und nicht lediglich eine der Betr. wesenseigene Abweichung von „normalem" menschlichem Verhalten vorliegt. Dies weiter aufzuklären bestand schon aufgrund des der Beschwerdeentscheidung zugrunde gelegten Sachverständigen [SV]-Gutachtens v. 21. 9. 2000 Anlaß.
Darin hatte der SV zu der von der Betr. in einigen Belangen gezeigten „Uneinsichtigkeit und Sturheit", woraus er ersichtlich die partielle Geschäftsunfähigkeit ableitete, lediglich vage und Zweifel offenlassend ausgeführt, „was man vielleicht als Altersstarrsinn bezeichnen könnte". Hinzu kommt, daß derselbe SV in seinem nur vier Monate zuvor erstatteten Gutachten die Erklärung des Hausarztes der Betr. wiedergegeben hatte, auch ihm sei klar, daß es sich bei der Betr. um eine in mancher Hinsicht recht schwierige Dame handle, irgendwelche Anzeichen einer geistigen oder psychischen Störung habe er bei ihr aber noch nie gesehen. Im Einklang damit hatte der SV der Betr. attestiert, daß sie „keineswegs geistig oder psychisch krank" sei, daß sie ihren Willen frei bestimmen und nach dieser Einsicht handeln könne, „und dies sogar recht nachdrücklich", daß sie „voll geschäftsfähig" sei und „alle Angelegenheiten noch selbst regeln" könne.

3 ! . Die Beschwerdeentscheidung ermangelt ferner der Darlegung der Sachkunde des SV

Ein Betreuer darf erst bestellt werden, nachdem das Gutachten eines SV über die Notwendigkeit der Betreuung eingeholt worden ist (§ 68b I S. 1 FGG). Das Beschwerdegericht kann seine Entscheidung auf im ersten Rechtszug eingeholte Gutachten stützen (§ 69g V S. 4 FGG). Welche Anforderungen an die Qualifikation des SV zu stellen sind, hängt von der Art der Krankheit oder Behinderung des Betr. ab (vgl. Jürgens/Mertens, § 68b FGG Rz. 4; Keidel/Kayser, FGG, 14. Aufl., § 686 Rz. 6). Bei psychischen Krankheiten und geistigen/seelischen Behinderungen ist grundsätzlich ein Facharzt für Psychiatrie oder Neurologie zu beauftragen. Zumindest muß der SV ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt sein (vgl. BayObLG, FamRZ 1993, 351, 352; KG, FamRZ 1995, 1379, 1380). Wird ein Gutachter beauftragt, dessen Sachkunde sich nicht ohne weiteres aus seiner Berufsbezeichnung oder aus der Art seiner Berufstätigkeit ergibt, ist seine Sachkunde in der Entscheidung - für das Kechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar - darzulegen (vgl. BayObLG, NJW-RR 1988, 454, 455 = FamRZ 1988, 433 [LSe]; Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 68b FGG Rz. 37).

Dem wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Sie enthält zur Sachkunde des SV keine Ausführungen, obwohl hierzu Veranlassung bestand. Über die für die Erstellung von Gutachten gemäß § 68b I S. 1 FGG zu fordernde Erfahrung verfügen in der Regel Nervenärzte, öffentlich bestellte Amtsärzte mit psychiatrischer Vorbildung, auf dem Gebiet der Psychiatrie fachkundige Klinikärzte und die in Bayern bestellten LG-Ärzte (vgl. BayObLGZ 1993, 63, 65, m.w.N. = FarnRZ 1993, 851, 852; Bienwald, § 68b FGG Kz. 36), nicht aber ohne weiteres Fachärzte für das öffentliche Gesundheitswesen (vgl. hierzu BayObLGZ 1997, 206, 208 f = FamRZ 1997, 1565, m. Anm. Christl ebd., S. 1566). So belegt auch hier der Umstand, daß der SV Medizinaldirektor und als solcher beim Landratsamt, Abteilung Gesundheitswesen, tätig ist, noch nicht die erforderliche Sachkunde. Ebensowenig gibt der Akteninhalt hierüber Aufschluß.

Home | Impressum