BGB § 1906 Abs. 1 (Zwangseinweisung des Betroffenen in ein Altenheim)OLG Hamm, Beschluss vom 21.10.2002, 15 W 189/02
1. Für die zwangsweise Unterbringung des durch seine Verwahrlosung gefährdeten Betroffenen in einer offenen Alten- oder Pflegeeinrichtung kann eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nicht erteilt werden.
2. Für eine solche Maßnahme fehlt die erforderliche gesetzliche Grundlage; eine analoge Anwendung des § 1906 Abs. 1 BGB kommt insoweit nicht in Betracht.
Das LG hat die Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zur zwangsweisen Unterbringung des Betroffenen in einem offenen Alten- oder Pflegeheim auf eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 1906 Abs. 1 BGB gestützt. Dementsprechend hat das LG ergänzend eine Anordnung nach 70 g Abs. d S. 2 FGG getroffen, indem es die zuständige Behörde ermächtigt hat, den Betroffenen der von dem Bet. B ausgewählten Einrichtung ggf. unter Anwendung von Gewalt zuzuführen. Die analoge Anwendung des § 1906 Abs. 1 BGB hat die Kammer dahin begründet, wenn unter den Voraussetzungen dieser gesetzlichen Vorschrift die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung des Betroffenen möglich sei, könne nicht angenommen werden, dass die Genehmigung einer zwangsweisen Verbringung des Betroffenen in ein offenes Heim als weniger einschneidende Maßnahme vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgeschlossen bleiben solle.
Die von dem Bet. B beabsichtigte Maßnahme führe zwar zu einem Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen, diene jedoch ausschließlich dem Schutz höherrangiger Grundrechte des Betroffenen, nämlich hier der Wahrung einer menschenwürdigen Existenz. Dem Set. drohten im Zusammenhang mit seiner zunehmenden Verwahrlosung bei einem Verbleib in seiner Wohnung erhebliche Gesundheitsgefahren. Mit der Übertragung der Gesundheitsfürsorge und des Aufenthaltsbestimmungsrechts für den Betroffenen auf den Bet. B als Betreuer sei es nicht zu vereinbaren, dass er angesichts der Weigerungshaltung des Betroffenen tatenlos seiner weiteren Verwahrlosung zusehen müsse.
Der Senat vermag diese Auffassung des LG nicht zu teilen, weil sie mit der obergerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere mit dem auf Vorlage (§ 28 Abs. 2 FGG) des Senats (FGPrax 2000,113) ergangenen Beschluss des BGH vom 10.10 2000 (u. a. veröffentlicht in BGHZ 145,297 = FGPrax 2001,40 = NJW 2001,888) nicht in Einklang steht. Eine unmittelbare Anwendung des § 1906 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht, weil es sich bei der von der Bet. B beabsichtigten Maßnahme nicht um eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung im Sinne dieser Vorschrift handelt.
Diese Bestimmung geht von einem engen Unterbringungsbegriff aus und schützt ebenso wie Abs. 4 der Vorschrift ausschließlich die körperliche Bewegungsfreiheit. Dementsprechend handelt es sich um eine freiheitsentziehende Unterbringung nur dann, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses, einer anderen geschlossenen Einrichtung oder dem abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird (BGH a.a.O.).
Demgegenüber zielt die Maßnahme des Bet. B hier ausdrücklich lediglich darauf ab, den Betroffenen in einer offenen Einrichtung unterzubringen, ohne dass seine körperliche Bewegungsfreiheit dort eingeschränkt werden soll. Die geplante Zwangsmaßnahme beschränkt sich auf die Verbringung des Betroffenen in diese Einrichtung. Dabei kann für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit der Maßnahme außer Betracht bleiben, dass sie praktisch nur durchsetzbar wäre, wenn gleichzeitig das bestehende Mietverhältnis über die Wohnung des Betroffenen gekündigt und die hierzu erforderliche vormundschaftsgerichtliche Genehmigung gemäß § 1907 BGB erteilt wird, weil nur auf diese Weise eine Rückkehr des Betroffenen in sein bisheriges verwahrlostes Wohnumfeld ausgeschlossen werden könnte.
Eine Anwendung des § 1906 Abs. 1 BGB im Wege einer erweiternden Analogie muss wegen des besonderen Gesetzesvorbehalts in Art. 104 Abs. 1 GG ausscheiden. Bei der geplanten Zwangsmaßnahme des Bet. B handelt es sich um eine Freiheitsbeschränkung, die nur vorgenommen werden darf, wenn ihre Voraussetzungen durch formelles Gesetz in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise geregelt werden. Die Eingriffsnorm des § 1906 Abs. 1 BGB kann deshalb nicht auf Maßnahmen erweitert werden, die ihrem Zweck nach nicht auf eine geschlossene Unterbringung des Betroffenen, sondern auf eine andersartige Maßnahme gerichtet sind (BGH a.a.O. für die zwangsweise Zuführung zu einer ambulanten medizinischen Behandlung). So verhält es sich auch hier:
Die beabsichtigte Maßnahme des Bet. B ist nicht auf eine notwendig befristete (§ 70 f Abs. 1 Nr. 3 FGG) geschlossene Unterbringung des Betroffenen gerichtet, die die Möglichkeit zur Rückkehr in sein bisheriges Wohnumfeld nach Beendigung der Maßnahme unberührt ließe. Vielmehr geht es dem Bet. B um die zwangsweise Durchsetzung eines auf Dauer angelegten Aufenthaltswechsels des Betroffenen. Der BGH hat indessen in seiner bereits mehrfach genannten Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, dass Zwangsmaßnahmen des Betreuers gegen den Betroffenen im Bereich der Wahrnehmung des Aufenthaltsbestimmungsrechts außerhalb des Rechts der geschlossenen Unterbringung wegen des grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalts jeweils einer näheren gesetzlichen Regelung bedürfen.
Er hat dabei gegenüber denjenigen Stimmen in Literatur und Rechtsprechung, die die Befug nis des Betreuen zu solchen Zwangsmaßnahmen aus dem privatrechtlichen Charakter des ihm mit dem Aufgabenkreis des Aufenthaltsbestimmungsrechts übertragenen Betreueramtes hergeleitet haben (für die Problematik der zwangsweisen Verbringung des Betroffenen in eine Pflegeeinrichtung etwa LG Bremen BtPrax 1994,102; MK/BGB-Schwab, 4. Aufl., § 1896, Rdnr. 65; Windel BtPrax 1999,46 ff.), ausdrücklich einen gegenteiligen Standpunkt mit der Begründung eingenommen, dass der Betreuer im Rahmen der Fürsorge öffentliche Interessen wahrnehme und damit der Betroffene auch gegenüber Handlungen des Betreuers sich auf grundrechtliche Gewährleistungen berufen kann.
Diesem rechtlichen Standpunkt des BGH, der auch im Übrigen verbreitet vertreten wird (vgl. etwa LG Offenburg FamRZ 1997,899 f. für den hier vorliegenden Fall einer zwangsweisen Verbringung in ein Altenheim; BayObLGZ 1995,222 BtPrax 1995,182 - Vorführungsanordnung außerhalb des Anwendungsbereichs des § 68 b Abs. 3 FGG -; BayObLG NJW-RR 2001,1513 = FamRZ 2002,348 zwangsweises Betreten der Wohnung des Betroffenen ; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl., § 1906, Rdnr. 16) schließt sich der Senat entsprechend der Funktion des § 28 Abs. 2 FGG, eine einheitliche Rechtsprechung zu gewährleisten, uneingeschränkt an, mag der Senat auch in seinem bereits erwähnten Vorlagebeschluss für einen Teilbereich (zwangsweise Zuführung zu einer ambulanten medizinischen Behandlung) noch eine abweichende Auffassung vertreten haben. Die bestehende Gesetzeslücke zuschließen muss deshalb ausschließlich dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben.
Die von dem Bet. B beabsichtigte Maßnahme ist danach nicht genehmigungsfähig, sodass es bei der Entscheidung des AG verbleiben muss.