BGB § 1896 I; FGG §§ 19, 68b I, 68b III(1 ZS, Beschluß v. 12. 9. 2000 1 W 6183/00)
1. Die Entscheidung, im Betreuungsverfahren ein Gutachten darüber einzuholen, ob der Betroffene an einer psychischen Krankheit leidet, ist für den damit nicht einverstandenen Betroffenen mit der Beschwerde anfechtbar. Das gilt auch, wenn die Entscheidung vom Landgericht als Erstbeschwerdegericht getroffen worden ist.
2. Eine solche Beschwerde ist begründet, wenn keine Tatsachen festgestellt sind. die einen Anhalt für eine psychische Krankheit des Betroffenen ergeben.
Aus den Gründen:Der Beteiligte [Bet.] hat mit der Begründung, seine Ehefrau leide an Wahnvorstellungen, die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene [Betr.] angeregt. Das VormG hat nach zunächst getroffenen verfahrenseinleitenden Maßnahmen das Verfahren nicht weiter betrieben und dies dem Bet. mitgeteilt. Auf die dagegen vom Bet. eingelegte Beschwerde hat das LG nach persönlicher Anhörung des Bet. und der Betr. mit dem angefochtenen Beschluß die Einholung eines neurologisch?psychiatrischen Gutachtens zur Frage, ob die Betr. an einer psychischen Krankheit leidet, und zu weiteren damit zusammenhängenden Fragen angeordnet. Mit ihrer Beschwerde macht die Betr. geltend, der Beweisbeschluß greife unverhältnismäßig in ihre Persönlichkeitsrechte ein; sie sei nicht krank, sondern könne ihre Angelegenheiten in jeder Hinsicht selbst besorgen; ihr Ehemann versuche, in einem Sorgerechtsstreit betreffend die gemeinsame achtjährige Tochter und im Vorfeld eines anstehenden Scheidungs? bzw. Ehenichtigkeitsverfahrens das Betreuungsverfahren als Druckmittel gegen sie zu verwenden. Der Senat hat die Betr. persönlich angehört.
Das Rechtsmittel führt zur Aufliebung des angefochtenen Beweisbeschlusses.
Die Beschwerde ist zulässig. Allerdings sind vorbereitende Zwischenverfügungen, zu denen auch Beweisanordnungen gehören, grundsätzlich einer gesonderten Anfechtung entzogen. Wie seit langem anerkannt ist, sind solche Zwischenentscheidungen jedoch ausnahmsweise mit der Beschwerde anfechtbar, wenn sie für sich allein betrachtet in so erheblichem Maße in die Rechte eines Bet. eingreifen, daß ihre selbständige Anfechtbarkeit unbedingt geboten ist
(vgl. BayObLG, FamRZ 1968, 613 = NJW 1967, 685; OLG Stuttgart, OLGZ 1975, 132; OLG Zweibrücken, FamRZ 2000, 1441 = FGPrax 2000,109).
Das gilt auch, wenn nicht das AmtsG, sondern im Rahmen eines Erstbeschwerdeverfahrens das LG die Zwischenentscheidung getroffen hat, wobei solchenfalls § 19 FGG entsprechend anzuwenden ist (vgl. OLG Zweibrücken, OLGZ 1983, 163; Senat, FGPrax 1997, 198, 199 re. Sp.; Keidel/Kahl, FGG, 14. Aufl., § 19 Rz. 25, m.w.N.).In diesem Fall handelt es sich bei dem gegen die Entscheidung des LG eingelegten Rechtsmittel nicht um eine weitere Beschwerde nach § 27 FGG, sondern um eine Erstbeschwerde, so daß die Entscheidung der Nachprüfung nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht unterliegt.
Die Anordnung [AO] der Begutachtung eines Bet. auf seinen Geisteszustand enthält einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der betr. Person in dem dargestellten Sinne (vgl. BayObLG, a.a.O., und BayObLGZ 1972, 201 = FamRZ 1972, 528; OLG Stuttgart, a.a.O.). Denn eine im Rahmen der Begutachtung durchgeführte Untersuchung gegen den Willen des Betr. kann die Würde der Person berühren; sie greift tief in seine private und persönliche Sphäre ein. Als zumutbar und noch unterhalb der Schwelle eines schwerwiegenden Eingriffs liegend ist dagegen der Fall angesehen worden, daß das persönliche Erscheinen eines Bet. zu einem Anhörungstermin angeordnet wird, an dem auch ein medizinischer Sachverständiger [SV] teilnehmen soll (Bay0bLG, FamRZ 1986, 1236 = NJWRR 1987, 136; Senat, OLGZ 1988, 418). Ein zur selbständigen Anfechtbarkeit führender schwerwiegender Eingriff ist auch verneint worden, wenn die Untersuchung des Betr. nicht erzwungen werden kann, dieser sich ihr vielmehr nur freiwillig zu unterziehen braucht (vgl. BayObLG, FarnRZ 1987, 966; Senat, OLGZ 1991, 406; OLG Frankfurt/M., FamRZ 1993, 442; vgl. auch Jansen, FGG, 2. Aufl., § 19 Rz. 26).
Nach geltender Rechtslage kann das VormG im Verfahren auf Bestellung eines Betreuers anordnen, daß der Betr. zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zuständige Behörde zur Untersuchung vorgeführt wird (§ 68b III S. 1 FGG). Kommt der Betr. nach AO der Begutachtung einer Aufforderung zur Untersuchung nicht nach, so muß er mit dem Erlaß einer solchen AO, die nach § 68 III S. 2 FGG nicht anfechtbar ist, rechnen. Auch vorliegend hat das LG der Betr. bereits den Erlaß einer solchen Untersuchungs? und Vorfühungs?AO angedroht. Daraus folgt nach dem oben Gesagten, daß der Beschluß über die Einholung eines Gutachtens nach § 68b I FGG mit der Beschwerde anfechtbar ist. Nicht etwa kann umgekehrt aus § 68b III FGG abgeleitet werden, daß nach dem auf Einschränkung der Rechtsmittel in Nebenverfahren gerichteten Gesetzeszweck (vgl. BT?Drucks. 11/4528, S. 215, 232) nicht nur die AO der Untersuchung, sondern auch die mit ihr eng verbundene AO auf Einholung eines Gutachtens der Anfechtung entzogen sein soll.
Nach der Systematik des § 68b FGG ist die Entschließung über die Einholung des Gutachtens von der AO der notfalls zu deren Durchsetzung erforderlichen Maßnahmen zu unterscheiden. Weder der Wortlaut noch die Materialien des Gesetzes lassen erkennen, daß derart wesentlich in den Rechtsschutz des Betr. eingegriffen werden sollte, daß er nicht nur die in § 68b III S. 1 FGG ausdrücklich aufgeführten Maßnahmen zur Durchsetzung der Untersuchung, sondern auch die ihr zugrunde liegende Entscheidung über die Einholung eines Gutachtens ohne Anfechtimgsmöglichkeit hinzunehmen hätte. Eine ausdehnende Auslegung des § 68b III S. 2 FGG ist zwar hinsichtlich solcher Maßnahmen zulässig, die ihrerseits nur der Durchsetzung der in S. 1 genannten A0en dienen sollen, wie insbesondere der richterlichen Gestattung, zwecks Vorführung des Betr. dessen Wohnung zu öffnen und zu betreten
(vgl. Senat, FamRZ 1997, 442 = FGPrax 1996, 182; OLG Hamm, FamRZ 1997, 440 = FGPrax 1996, 221; Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 68b FGG Rz. 57).Die Anwendung auf den hier zu entscheidenden Fall käme jedoch nicht im Wege ausdehnender Auslegung, sondern nur im Wege entsprechender Anwendung in Betracht, deren Zulässigkeit ihr Charakter als Ausnahmebestimmung entgegensteht (vgl. BayObLG, NJW?RR 1998,437).Der Senat sieht die Ausführungen des BayObLG in einem die Anfechtung der Einleitung eines Betreuungsverfahrens betreffenden Fall (BtPrax 1998, 148) nicht als Äußerung einer abweichenden Ansicht an; auch andernfalls bestünde eine Vorlagepflicht nach § 28 11 FGG schon deshalb nicht, weil die vorliegende Entscheidung nicht auf eine weitere, sondern auf eine erste Beschwerde ergeht. Im übrigen würde auch der Senat die bloße Verfahrenseinleitung nicht für anfechtbar halten (vgl. auch Jansen, a.a.O., § 19 Rz. 20).
Die danach zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Erlaß des angefochtenen Beweisbeschlusses ist nicht rechtens, weil nach dem Inhalt der Akten, den bisher angestellten Ermittlungen und dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Betr. keinerlei Anhalt für die Annahme besteht, die Betr. leide an einer psychischen Krankheit.
Die in den Akten enthaltenen schriftlichen Eingaben der Betr. sind in bezug auf den Geisteszustand der Verfasserin unauffällig, bei verständlichem Engagement zur Verteidigung ihrer Rechte dennoch abgewogen; sie lassen keine Beeinträchtigungen der Realitätswahrnehmung und keine Störungen des Denkens oder der Gefühlswelt erkennen. Entsprechendes gilt für die Äußerungen und das Verhalten der Betr. während der rund 70ininütigen persönlichen Anhörung durch den Senat [wird ausgeführt].
Die vorn LG durch den angefochtenen Beschluß mit der Begutachtung beauftragte SV hatte bereits Gelegenheit zur Lektüre der Akten. Über ein anschließendes Telefonat mit ihr hat der Berichterstatter des LG vermerkt: "Sie meint, die Aktenlage spreche für eine paranoide Psychose. Sie denke, daß eine Betreuung zur Zwangsbehandlung in Betracht komme. Auch wegen der finanziellen Situation der Familie werde nach Aktenlage eine Betreuung wohl notwendig werden." Diese Einschätzung nach Aktenlage kann nur damit erklärt werden, daß die SV dabei die Tatsachenangaben des Ehemannes als wahr unterstellt hat. Das zeigt besonders deutlich der Hinweis auf die finanzielle Situation der Familie, zu der es nur einseitige ungeprüfte Angaben des Ehemannes gibt.
Danach erweist sich aber die vermerkte Einschätzung durch die SV als wertlos; es bleibt auch unter ihrer Berücksichtigung dabei, daß es keinen durch tatsächliche Feststellungen gesicherten Anhalt für eine geistige Erkrankung der Betr. gibt. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner besonderen Betonung, daß ein medizinischer SV zur Klärung von Fakten, die sich ihm nicht bei seiner Anamnese unmittelbar erschließen, weder in der Lage noch berufen ist, so daß sie, sollte das LG sie für geboten halten, der Einholung eines Gutachtens vorauszugehen hätte. Das Gebot, ein Gutachten erst dann einzuholen, wenn die Tatsachen, die Anlaß zur Begutachtung geben, durch andere Erkenntnismittel festgestellt worden sind, folgt dabei aus dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Dem Senat ist bewußt, daß er bei der vorstehenden tatsächlichen Würdigung nicht auf medizinische Fachkenntnisse, sondern nur auf die allgemeine Lebenserfahrung und Menschenkenntnis zurückgreifen kann. Da es aber gerade darum geht, die Betr. vor einer grundlos und gegen ihren Willen angeordneten Begutachtung zu bewahren, muß hierbei zwingend auf das Erkenntnismittel des Gutachtens verzichtet werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtfertigt und erfordert insoweit, daß ein dabei bestehendes theoretisches Risiko der Fehlbeurteilung in Kauf genommen wird.
Ob nach Aufhebung des Beweisbeschlusses Anlaß zu sonstigen Ermittlungen besteht, bleibt der pflichtgemäßen Beurteilung des LG überlassen. Der Senat, der hier nur ausnahmsweise als Erstbeschwerdegericht zu einer Entscheidung berufen war, sieht sich nicht als berechtigt an, über das hierfür notwendige Maß hinaus in die den Tatsacheninstanzen vorbehaltenen Aufgaben einzugreifen.