THOMAS
SASCHENBRECKER
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Zugelassen am Landgericht und am Oberlandesgericht Karlsruhe
Stellungnahme
Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Entwurfs der Neufassung des § 1906a BGB.
1. Der Gesetzesentwurf des § 1906a BGB
In seiner 795. Sitzung am 19. Dezember 2003 hat der Bundesrat beschlossen, gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts (2. BtÄndG) einzubringen, der neben anderen Regelungen zum Betreuungsrecht auch durch einen neu zu schaffenden § 1906 a BGB eine Genehmigung der Zuführung zur ambulanten ärztlichen Heilbehandlung zum Gegenstand hat 1.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass nach § 1906 des Bürgerlichen Gesetzbuches folgender § 1906a BGB eingefügt wird:
§ 1906a BGB - Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei der zwangsweisen Zuführung zur ärztlichen Heilbehandlung
Eine zwangsweise Zuführung des Betreuten zur ambulanten ärztlichen
Heilbehandlung durch den Betreuer ist nur zulässig, solange sie zum Wohl
des Betreuten notwendig ist, weil
1. der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen
Behinderung die Notwendigkeit der Behandlung nicht erkennen oder nicht nach
dieser Einsicht handeln kann,
2. die Gefahr besteht, dass er sich der notwendigen ambulanten ärztlichen
Heilbehandlung entzieht.
Die zwangsweise Vorführung ist nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts
zulässig. § 1906 Abs. 3 und Abs. 5 Satz 1 gelten entsprechend.
2. Die bisherige Gesetzeslage
Eine ambulante Dauertherapie eines Betreuten mit sogenannten Depot-Spritzen,
Medikamentengaben mit langanhaltender, mindestens 14-tägiger Wirkungsdauer,
kann bisher als verfassungsrechtlichen Gründen unabhängig davon, ob
sie in einer psychiatrischen Klinik, im Krankenhaus, in einer Arztpraxis oder
am Aufenthaltsort des Betroffenen durchgeführt wird, nicht zwangsweise
gegen den Willen eines Betreuten durchgesetzt werden.
Die bisherige Regelung beschränkt nach § 1906 BGB staatliche Zwangsmittel
gegen einen Betreuten auf die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung
bei erheblicher gesundheitlicher Eigengefährdung (§1906 Abs. 1 S.
1 BGB), zur Untersuchung des Gesundheitszustandes, auf die Durchführung
eines medizinischen Heileingriffes, auf den Zweck der Heilbehandlung sowie auf
den Zweck der Durchführung eines ärztlichen Eingriffes (§1906
Abs. 1 S. 2 BGB).
Verfahrensrechtliche Vorschriften des FGG regeln darüber hinaus die Zwangsmittel
der Vorführung zur richterlichen Anhörung zur Verschaffung des unmittelbaren
Eindrucks (§ 68 Abs. 3 FGG), sowie die Vorführung zur Untersuchung
durch einen medizinischen Sachverständigen im Rahmen eines Betreuungsverfahrens
(§ 68 b Abs. 3 FGG).
Eine Erweiterung von Zwangsmassnahmen auf eine gegen den Willen in regelmäßigen
Zeitabständen durchzuführende Dauermedikation mit Neuroleptika und
die zwangsweise Zuführung des Betreuten zu dieser - jeweils kurzfristigen
- ärztlichen Behandlung eines Betreuten in analoger Anwendung der Regelungen
des § 1906 BGB hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 11.
10. 2000 ausdrücklich abgelehnt. 2
Um das Anliegen des Betreuungsrechts ernst zu nehmen, so der Bundesgerichtshof,
die Rechtsstellung psychisch kranker und körperlich, geistig und seelisch
behinderter Menschen durch eine grundlegende Reform des Rechts der Vormundschaft
und Pflegschaft zu verbessern (BT-Drucks. 11/4528 S. 1), dürften deren
verfassungsrechtlich garantierte Rechte nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen
- auch nicht im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen - missachtet werden.
3
Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GG, verstärkt durch die formellen Garantien
des Art. 104 GG, gebiete es den Gesetzgeber als Träger öffentlicher
Gewalt, Freiheitsentziehungen in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer
Weise zu regeln und in die Freiheit der Person, die unverletzlich sei, nur aufgrund
eines Gesetzes einzugreifen. Um dem formellen Gesetzesvorbehalt des Art. 104
Abs. 1 GG gerecht zu werden, müssen die Grundzüge der Eingriffsvoraussetzungen
in einem formellen Gesetz geregelt werden.
3. Die Motive der Neuregelung des § 1906a BGB-E
In den Motiven wird als Hauptanwendungsbereich des § 1906a BGB der "krankheitsuneinsichtige,
einwilligungsunfähige" Betreute gesehen, der künftig "einer
notwendigen Heilbehandlung zwangsweise zugeführt" werden soll.
Notwendig seinen nur Heilbehandlungen, die zur Erreichung des Behandlungserfolges zum Wohle des Betreuten geeignet seien. Die Notwendigkeit lege, so die Begründungen, zugleich Art und Umfang der Heilbehandlung ("Medikament X als Depotspritze alle 14 Tage") fest. 4
Die Eingriffshöhe gegenüber dem Betreuten sei in der Regel geringer als diejenige bei der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB; die Voraussetzungen orientierten sich deshalb an dieser Vorschrift.
In den Entwurfsgründen zu § 1906a BGB-E wird ausgeführt, das Betreuungsgesetz habe die Problematik der zwangsweisen Zuführung des Betreuten zur ärztlichen Heilbehandlung zwar gesehen, bisher aber bewusst ungeregelt gelassen (BT-Drs. 11/4528, S. 72).
Dieser bisherige Rechtszustand sei im Interesse eines Betreuten, aber auch im Interesse der Allgemeinheit nicht hinnehmbar. Das Selbstgefährdungspotential eines Betreuten steige mit der abnehmenden Wirkung der neuroleptischen Medikation, häufig verbunden mit einem gleichzeitigen Anstieg der Fremdgefährdung, wenngleich die Schwelle für eine Unterbringung noch nicht überschritten sei.
Im Betreuungsrecht sei deshalb eine Rechtsgrundlage für eine zwangsweise Zuführung zur ambulanten ärztlichen Heilbehandlung zu schaffen, mit der dann der, so die Entwurfsgründe, erheblichere Eingriff der Unterbringung vermieden werden könne. Hierdurch könne "der typischen Kombination aus Selbst- und Fremdgefährdung des krankheitsuneinsichtigen Patienten" im Betreuungsrecht am besten begegnet werden. Der Betreuer entscheide über die ärztliche Heilbehandlung, zumal er in ständigem Kontakt zum Betreuten und zum behandelnden Arzt steht. Eine Differenzierung zwischen Maßnahmen des Betreuers zum Wohle des Betreuten und der Unterbringungsbehörde zum Wohle der Allgemeinheit erscheine nicht nur sachlich zweifelhaft, sie sei auch gänzlich unpraktikabel. 5
Die Bayerische Staatsministerin der Justiz, Dr. Beate Merk hat in der 794. Sitzung des Bundesrates vom 28. November 2003 hierzu ausgeführt:
"Nicht zuletzt schließt unser Gesetzesvorschlag eine gefährliche Sicherheitslücke im Betreuungsrecht. Nach der Rechtsprechung hat der Betreuer keine Möglichkeit, eine ambulante Behandlung zwangsweise durchzusetzen. Lassen Sie es mich auf den Punkt bringen: Wir müssen heute untätig mit ansehen, wenn das Gefährdungspotenzial eines schwer kranken Menschen zunimmt, weil er auf Grund von Uneinsichtigkeit eine notwendige ambulante Behandlung ablehnt oder abbricht, wir müssen warten, bis die Unterbringungsvoraussetzungen wieder erfüllt sind. Jetzt geben wir dem Betreuer ein zusätzliches Instrumentarium an die Hand, die ambulante Behandlung im Bedarfsfall auch zwangsweise durchzusetzen." 6
Zu den formellen Garantien wird ausgeführt, dass § 1906a BGB den Voraussetzungen der Artikel 2 und 104 GG genüge. Artikel 104 Abs. 2 GG sei nicht einschlägig, weil es sich bei der zwangsweisen Zuführung nicht um eine Freiheitsentziehung, sondern um eine Freiheitsbeschränkung handele Die Verfahrensgarantien entsprechen denjenigen bei einer Genehmigung einer unterbringungsähnlichen Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB. 7
4. aufkommende Kritik an § 1906a BGB-E
a. Bereits in der 794. Sitzung des Bundesrates hat der Gesetzesentwurf nicht
ungeteilte Zustimmung gefunden. Die Schleswig-Holsteinische Ministerin für
Justiz, Frauen, Jugend und Familie, Annemarie Lütkes, hat auf die zitierte
Rede der Bayerischen Staatsministerin für Justiz entgegnet, man sehe bezüglich
der Problematik der Zwangsbehandlung "erheblichen Diskussionsbedarf"
Die vorgeschlagene Regelung der Zwangsvorführung sei "ausgesprochen
bedenklich", weshalb man "sehr um Überarbeitung" bitte.
Staat und Gesellschaft seinen auch unter dem Diktat leerer Kassen verpflichtet,
Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbstständig
zu regeln, ein würdiges Leben zu garantieren, wobei es unter dem Postulat
"klarer rechtliche Rahmenbedingungen" Aufgabe der Justiz sei, "den
rechtlichen Rahmen zu schaffen, der Einschränkungen des Persönlichkeits-
und Freiheitsrechtes so weit wie möglich zurückdrängt bzw. gerichtlicher
Kontrolle unterwirft". 8
b. der Deutsche Vormundschaftsgerichtstag e.V. lehnt in einer Stellungnahme
9 vom 18.12.2003 den Gesetzesentwurf des § 1906a BGB-E
zur Änderung des Betreuungsrechtes ab.
Aus der allgemeinen Begründung des Gesetzesentwurfes gehe hervor, dass
mit der Zwangsbefugnis des § 1906a BGB-E "betreuungsrechtsfremde Zwecke"
verfolgt würden, nämlich "die Vermeidung von Fremdgefährdung"
im "Interesse der Allgemeinheit". Das Betreuungsrecht habe indes nach
dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers aber "alleine die Zielsetzung
des Wohles des kranken Betreuten" und seines Schutzes. Es bezwecke daher,
"die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Menschen zu stärken
und ihre soziale Situation zu verbessern", nicht aber den Schutz der Allgemeinheit.
Eine "gefährliche Sicherheitslücke im Betreuungsrecht" wie
in den Gründen angeführt, bestehe nicht. Der mit der Regelung bezweckte
Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren, die von einem psychisch Kranken ausgehen
könnten, werde durch das öffentliche Unterbringungsrecht ausreichend
gewährleistet. Alle Bundesländer verfügten über entsprechende
Gesetze und hätten sie in den letzten Jahren den heutigen Bedürfnissen
angepasst. "Sicherheitslücken" seinen in der Praxis nicht bekannt
geworden. 10
Die Stellungnahme führt weiter aus:
"Wie die Erfahrungen der modernen Psychiatrie und der sozialpsychiatrischen
Dienste lehren, sind Zwangsbehandlungen vermeidbar, wenn die nötigen Kommunikations-
und Beziehungskompetenzen auf Seiten der Mitarbeiter ausreichend entwickelt
sind. Dabei sollte es verbleiben(
.)"
Die beabsichtigte Regelung erleichtere die Anwendung von Zwang gegenüber
kranken und behinderten Menschen und habe in der Praxis unvermeidbar zur Folge,
dass aus Bequemlichkeitsgründen leichter und öfter zu diesem Mittel
gegriffen werde als es zur Behandlung notwendig sei. Die Rolle, die durch die
geplante Regelung den Betreuerinnen und Betreuern zugewiesen würde, verschärfe
den "oft ohnehin vorhandenen und schwierig zu bewältigenden Spagat
der Betreuerinnen und Betreuer zwischen Wünschen und Wohl der Betreuten".
Mit dem erklärten Regelungszweck (Schutz der Allgemeinheit) im Nacken würden
die Betreuerinnen und Betreuer zum staatlichen Ordnungshüter.
c. Interessenverbände der Betroffenen wie Verein zum Schutz vor psychiatrischer
Gewalt e.V. und der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener wenden sich entschieden
gegen den Entwurf des § 1906a BGB befürchten eine damit verbundene
erhebliche Verschlechterung der Lage der Betroffenen. 11
Der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg sieht in dem Gesetzesentwurf
die systematische Verletzung der Menschenrechte: zuallererst der Artikel 18
der UN Erklärung der allgemeinen Menschenrechte, der die Gedankenfreiheit
garantiert und weist auf Willkürmöglichkeiten bei künftigen staatlichen
Zwangsmaßnahmen hin. 12
d. Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. als Fachverband
für Sozialpsychiatrie in Deutschland sieht in einer Stellungnahme 13
in der geplanten Gesetzesänderung einen massiven Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht
der Betroffenen. Die Notwendigkeit der Behandlung werde über das Recht
auf Selbstbestimmung gestellt.
Begründet werde dieser Grundrechtseingriff mit dem Rechtsanspruch auf Teilhabe
an gesundheitlicher Versorgung.
e. In einer fachlichen Stellungnahme zum Bundesjustizministerium 14
sprechen sich die Dres. med. Aderhold und Bock, Grewe gegen den Neuentwurf
des § 1906a BGB-E aus und führen aktuelle Forschungsergebnisse an
die belegten, dass Eigensinn auch bei psychiatrischen Patienten kein negativer
Prognosefaktor sei, sondern der Lebensqualität diene. Einseitiger langfristiger
therapeutischer Zwang berge in sich die strukturelle Gefahr, diese individuell
und subjektiv existentielle Lebenskraft und besondere Lebensqualität zu
verkennen und auszulöschen. Auch würden Depotneuroleptika gegenwärtig
- bis auf eine Ausnahme - aus typischen Neuroleptika bestehen. Man wisse, dass
die Medikamente in rund 20% aller Fälle nach längerer Anwendung irreversible
Bewegungsstörungen (sog. Tardive Dyskinesien) verursachten.
f. Mit Datum vom 18.12.2003 hat das Land Nordrhein-Westfalen einen Änderungsantrag
15 im Bundesrat eingebracht; der die Streichung des Entwurfs
des § 1906a BGB-E zum Gegenstand hat.
Die Vorschrift, so der Änderungsantrag, die die zwangsweise Zuführung
zu einer ambulanten ärztlichen Heilbehandlung ermöglichen solle, werde
auf Grund des erheblichen Grundrechtseingriffs, der im Bedarfsfall gegebenen
Eingriffsmöglichkeiten auf der Grundlage der Gesetze der Länder für
den Bereich der zwangsweisen psychiatrischen Versorgung, der Möglichkeiten
nach den §§ 70 ff FGG und aus sozialpsychiatrischen Gründen abgelehnt.
Eine Ausweitung von Zwangsmaßnahmen gegenüber psychisch Kranken konterkariere
darüber hinaus die derzeit europaweit geführten Fachdiskussionen,
die auch auf der Ebene des Europarates fordern, das Selbstbestimmungsrecht psychisch
Kranker und geistig Behinderter in den nationalen Gesetzen stärker zu verankern.
Mit der beantragten Streichung werde das Anliegen der Psychiatrie berücksichtigt, die auf eine konsensuale Lösung abziele.
5. Der Gesetzesentwurf des § 1906a BGB-E im Rahmen geltender Rechtstrukturen
des Betreuungsrechtes
a. Die Einbeziehung der Interessen der Allgemeinheit in § 1906 BGB-E
§ 1906a BGB-E wäre im engen Regelungszusammenhang mit der Unterbringungsgenehmigung
des § 1906 BGB zu sehen. Anders als bei § 1906 BGB würde allerdings
nicht alleine der sonst erklärte gesetzgeberische Wille des Betreuungsrechtes,
das Wohl eines Betreuten (§ 1901 Abs. 2 BGB), im Vordergrund der Regelung
stehen, sondern, erstmalig im Regelungswerk des Betreuungsrechtes, ebenso Aspekte
des Schutzes der Allgemeinheit.
Dem krankheitsuneinsichtigen Betreute wird nicht mehr vor dem Hintergrund eines
subjektivierten Begriffes des "Wohles des Betreuten" 16
ein bedingtes "Recht auf Krankheit" 17 zugebilligt,
sondern er wird als "Gefahrpotential" für die Allgemeinheit gesehen,
wobei es gelten soll, diesen Gefahren in Vorstufen zu den Voraussetzungen einer
Unterbringung gegen den Willen durch ambulante Zwangsbehandlung zu begegnen:
Ausweislich der Entwurfsgründe soll die Regelung des § 1906a BGB-E
nicht zuletzt aufkommende Fremdgefährdung eines krankheitsuneinsichtigen
Betreuten entgegenwirken. 18 Eine klare Trennung zwischen staatlich
- fürsorgerischen Gesichtspunkten zum Wohle des Betreuten und präventiven
staatlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr findet erklärtermaßen
19 nicht statt, Zielrichtung des Regelungswerkes wäre
somit nicht alleine das Wohl des Betreuten, sondern zumindest ebenso der Schutz
der Allgemeinheit vor einem etwaigen Fremdgefährdungspotential eines psychisch
Kranken.
Selbst wenn man das Betreuungsrecht als geeigneten Regelungsstandort für
eine ambulante Zwangsbehandlung und auch für die zwangsweise Zuführung
sehen würde, könnten etwaige Zwangsmaßnahmen alleine zum Gegenstand
haben, den Betreuten vor sich selbst zu schützen. Dieser Schutz wäre
durch den Betreuer als gesetzlicher Vertreter zu gewährleisten, der das
weitgehend zu subjektivierende Wohl des Betreuten gleichzeitig gegenüber
Dritten wahren kann. Ausschließlich ein solcher Schutz des Betreuten ist
Aufgabe des Betreuungsrechts.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, 20 weist
stets auf die hohe Bedeutung der Freiheitsgrundrechte und rechtfertigt Zwangsmassnahmen
gegen einen Betreuten alleine damit, dass dessen Fähigkeit zur Selbstbestimmung
häufig erheblich beeinträchtigt sein wird. Alleine in solchen Fällen
ist dem Staat, so das Bundesverfassungsgericht, fürsorgerisches Eingreifen
erlaubt.
Die Rechtfertigung für die Ausgestaltung der Regelungen von Zwangsmassnahmen
gegen einen Betreuten als staatliche Aufgabe, die es erlaubt, den Willen des
psychisch Kranken durch die bessere Einsicht des für ihn Verantwortlichen
zu ersetzen, wird dem Sozialstaatsgedankens (Art. 20 Abs. 1, 28 GG) und der
sich hieraus ergebenden staatlichen Fürsorge für die Bürger,
die hilfsbedürftig sind, weil sie psychisch krank sind, entnommen.
Aufgrund dieser Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft , so die höchstrichterliche
Rechtsprechung, besteht die Befugnis, gegen den psychisch Kranken, der infolge
seines Krankheitszustands und der damit verbundenen fehlenden Einsichtsfähigkeit
die Schwere seiner Erkrankung und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen
nicht zu beurteilen vermag oder trotz einer solchen Erkenntnis sich infolge
der Krankheit nicht zu einer Behandlung entschließen kann, Zwang anzuwenden,
dies aber auch ausschließlich dann, wenn sich dies als unumgänglich
erweist, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem
Kranken selbst abzuwenden. 21
Ausweislich der Entwurfsgründe zu § 1906a BGB-E hingegen sollen fürsorgerische
Gesichtspunkte hinter Sicherheitsaspekten der Allgemeinheit zurücktreten.
Dies ist mit dem übrigen Regelungswerk des Betreuungsrecht unvereinbar,
zumal eine Kollision mit den Vorschriften des § 1901 BGB, die auf ein subjektiviertes
22 Wohl des Betreuten abstellen, in der Praxis evident ist.
§1906a BGB-E wäre somit mit dem Regelungswerk und der Zielrichtung
des Betreuungrechtes, dem Wohl und dem Schutz des psychisch Kranken, nicht vereinbar.
b. Die Problematik des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit
§ 1906a BGB-E schafft nach seinem Wortlaut die Rechtsgrundlage ausschließlich
für die zwangsweise Zuführung zur ambulanten medizinischen Behandlung.
Die Vorschrift würde die Zulässigkeit der Zuführung zur ambulanten Behandlung regeln sowie die Voraussetzungen aufstellen, unter denen eine solche Maßnahme der Zuführung vorgenommen werden kann.
Die Zuführungsgenehmigung zu einer ambulanten Behandlung würde jedoch ausschließlich die Bewegungsfreiheit des Betreuten betreffen.
Die eigentliche Problematik der ärztliche Zwangsbehandlung als solche, die durch Verabreichung eines Depotneuroleptikums in die körperliche Integrität des Betreuten eingreift, wird in §1906a BGB-E nicht geregelt.
In den Entwürfen zu § 1906a BGB-E wird die Zulässigkeit des
Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit des Betreuten bei Einwilligung
durch den Betreuer unterstellt, ohne dass hierzu eine Rechtsgrundlage erkennbar
ist.
Soweit ausgeführt wird, in die Durchführung der ärztlichen Heilbehandlung
selbst könne der mit dem Aufgabenkreis "Zuführung zur Gesundheitssorge"
betraute Betreuer einwilligen, 23 so ist eine solche Sicht
der Dinge mit den vom Bundesgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht 24
aufgestellten Grundsätzen zur hohen Bedeutung des Art. 2 Absatz 2 GG unvereinbar:
Eine zwangsweise Zuführung zur Behandlung wäre überhaupt nur
denkbar und zulässig, wenn die materiellen Voraussetzungen für die
Zwangsbehandlung vorliegen:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes 25
nimmt ein Betreuer im Rahmen der Fürsorge öffentliche Funktionen wahr,
der Betreute kann sich gegenüber Handlungen des Betreuers auf seine Grundrechte
berufen.
Dies vorausgesetzt greift der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1
GG ein, und es bedarf zur Vornahme von Zwangsbehandlungen gegen den Widerstand
des Betreuten einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz. 26
Somit gelten weder die Voraussetzungen der zwangsweisen Zuführung für
die ärztliche Zwangsbehandlung selbst, noch ergibt sich aus dem §
1906a BGB-E die Zulässigkeit einer ambulanten Zwangsbehandlung. 27
Eine Differenzierung zwischen ambulanter und stationärer Zwangsbehandlung
ergibt sich nicht, da in beiden Fällen in das Rechtsgut der körperlichen
Unversehrtheit beim Betreuten eingegriffen wird.
Im Ergebnis kann § 1906a BGB-E nicht Rechtsgrundlage einer ambulanten Zwangsbehandlung
sein. Ob eine Zwangsbehandlung überhaupt durchgeführt werden darf,
ist bisher nicht geregelt. Dann aber wäre auch eine zwangsweise Zuführung
ungeeignet und damit unzulässig.
Um eine Rechtsgrundlage für die Zwangsbehandlung eines Betreuten zu schaffen,
müsste die Zwangsbehandlung selbst und ihre Voraussetzungen ausdrücklich
geregelt sein.
c. die Problematik einer möglichen Einschränkung des Selbstbestimmungsrechtes
Der Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Betreuungsrecht"
vom 01.08.2003 wie auch der Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 19.12.2003 im
übrigen haben das erklärte Ziel der Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes
eines Betreuten zum Inhalt. 28
Die Erteilung einer Vorsorgevollmacht soll zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes
gefördert werden, um Betreuung institutionell zu ersetzen und so dem individuellen
Willen auch eines seelisch Erkrankten den Vorrang vor staatlicher Fürsorge
einzuräumen. Gesetzliche Betreuung soll auf das unabdingbare Maß
zurückgeführt werden, um das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen
weitgehend zu wahren.
In Konsequenz des gesetzgeberischen Willens ist eine erteilte Vorsorgevollmacht
vollumfänglich geeignet, in Konsequenz des Selbstbestimmungsrechtes staatliche
Zwangsmaßnahmen zu verhindern, da der Regelungsbereich einer Vorsorgevollmacht
ausdrücklich auch Zwangsmaßnahmen des Betreuungsrechtes zum Inhalt
haben kann und fürsorgerische bzw. medizinische Hilfe auch zurückgewiesen
werden kann. 29
Demgegenüber könnte der Entwurf des Bundesrates zu § 1906a BGB
eine erhebliche Einschränkung des Selbstbestimmungsrechtes des Betreuten
und damit ein Wertungswiderspruch zu den erklärten Zielen der Reform des
Betreuungsrechtes bedeuten.
Die bisherige Rechtsprechung garantiert auch dem psychisch Erkrankten mit Verfassungsrang
- in Grenzen - ein "Recht auf Krankheit". 30 Auch
wenn die Definition dieser Grenzen in den bisherigen Entscheidungen der höchstrichterlichen
Rechtsprechung offen gelassen wurde, 31 wurde dem psychisch
Kranken zumindest solange "wie einem Gesunden" 32
das Recht, sich für oder gegen eine medizinische Behandlung zu entscheiden,
zugebilligt, solange es sich nicht als unumgänglich erwies, ihn zwangsweise
in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen, um eine drohende gewichtige gesundheitliche
Schädigung von dem Kranken abzuwenden. 33
Die Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft schließt auch im Rahmen
der derzeitigen Regelung die Befugnis ein, gegen den psychisch Kranken, der
infolge seines Krankheitszustandes und der damit verbundenen fehlenden Einsichtsfähigkeit
die Schwere seiner Erkrankung und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen
nicht zu beurteilen vermag oder trotz einer solchen Erkenntnis sich infolge
der Krankheit nicht zu einer Behandlung entschließen kann, Zwangsmassnahmen
zu ergreifen, dies aber nur dann, wenn sich dies als unumgänglich erweist,
um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken
abzuwenden.
Mit dem Entwurf wird in Konsequenz das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten
in erheblichem Umfang eingeschränkt. In der Begründung des Entwurfs
wird erklärtermaßen darauf abgestellt, Zwangsmassnahmen bereits zu
ermöglichen, die Schwelle für eine Unterbringung aber noch nicht überschritten
ist. 34
Damit aber würde die neue Gesetzesregelung dem Betreuten die im Rahmen
des "Rechtes auf Krankheit" derzeit eingeräumte Option, eher
zu stationären Bedingungen geschlossen untergebracht zu werden, wenn aufgrund
der unterbliebenen Medikation ein Krankheitsschub mit Selbstgefährdung
auftritt, als die Beeinträchtigungen durch die Medikamente hinzunehmen,
genommen.
Die Begründung des Entwurfs zu § 1906a BGB verkennt, dass es sich
bei der Zuführungsgenehmigung zur ambulanten Zwangsbehandlung nicht um
eine gegenüber der Unterbringungsgenehmigung nach § 1906 BGB abgestuft
mildere Maßnahme, sondern um ein ´aliud´ hierzu handelt:
Für einen Betreuten kann sich die Gewissheit, für die Dauer eines
Jahres regelmäßig der Behandlung zugeführt zu werden, als eine
andere, subjektiv möglicherweise stärkere Belastung als eine zeitnah
angeordnete Unterbringung, selbst wenn diese mit der gleichen Behandlung verbunden
ist, darstellen. 35
Der Bundsgerichtshof führt hierzu gerade in der in den Entwurfsgründen
berücksichtigten Entscheidung vom 11. Oktober 2000 aus:
"Der Eingriff durch die zwangsweise ambulante Behandlung für den Betroffenen
ist eine andere als die durch eine einmalige - selbst länger dauernde -
Unterbringung verursachte und mit dieser nicht vergleichbar. Der Betroffene
lässt sich nur mit Zwang, unter Einschaltung der Polizei oder durch entsprechende
Drohung, in das Psychiatrische Krankenhaus bringen, auch wenn er die Behandlung
dort ohne Gegenwehr über sich ergehen lässt. Diese Art der Vorführung
hat nach außen hin diskriminierende Wirkung".
Der Gesetzesentwurf zu § 1906a BGB wäre insoweit als verfassungsrechtlich
bedenklich anzusehen, als das Selbstbestimmungsrecht des psychisch Kranken weitgehend
eingeschränkt wird.
Insoweit würde vor dem Hintergrund der praktischen Auswirkungen des Gesetzesentwurfs
durchaus Gefahr bestehen, dass der Betreute jenseits eines derzeit aufgrund
des begrenzten "Rechtes auf Krankheit" freien Rechtssubjektes zu einem
Objekt einer umfassenden staatlichen Gesundheitsvormundschaft 36
wird.
Anlass für die Sorge um eine derart begründete Gefahr dürfte
insbesondere vor dem Hintergrund bestehen, dass in den Entwurfsbegründungen
ausgeführt wird, der Betreuer entscheide über die ärztliche Heilbehandlung,
da er in ständigem Kontakt zum Betreuten und zum behandelnden Arzt stehe
und somit die mögliche, mit der Verfassung ersichtlich nicht im Einklang
stehende Gefahr einer "Vernunfthoheit des Arztes über den Patienten"
offensichtlich ist.
Damit dürfte in den Begründungen zu § 1906a BGB verkannt worden
sein, dass es sich bei dem juristischen Krankheitsbegriff um einen eigenständigen
Krankheitsbegriff handelt, für die medizinische Krankheitsbegriffe nur
Ausgangspunkte darstellen. Wenn auch der zur Entscheidung über die Anordnung
einer Zwangsmassnahme berufene Richter die Frage, ob eine Person an einer psychischen
Krankheit leidet und welche Auswirkungen und Bedeutung dies hat, regelmäßig
nur mit Hilfe eines ärztlichen Sachverständigen beurteilen kann, so
ist er doch in keiner Weise verpflichtet, die Begriffswelt des Arztes zu übernehmen,
die teils weiter, teils aber auch enger sein kann als die juristischen Begriffe,
die bei der Gesetzesanwendung allein zugrunde zu legen sind. 37
Mit dem Regelungsentwurf besteht insbesondere in Hinblick auf die Entwurfsbegründungen
Gefahr, dass eine Differenzierung zwischen einer aus medizinischer Sicht zu
begrüßenden Behandlung und einer in Hinblick auf den Gesundheitszustand
unabdingbaren Gefahr nicht mehr differenziert wird.
Eine wie in den Entwürfen ersichtlich zu Tage tretende Herabsetzung des
Erforderlichkeitsprinzips dürfte vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
mit geltendem Verfassungsrecht nicht in Einklang zu bringen sein.
Der Schutz Betreuter vor staatlichem Behandlungszwang dürfte mit dem Entwurf
zu § 1906a BGB nicht hinreichend gewährleistet sein.
d. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
Den Entwürfen 38 ist zu entnehmen, dass § 1906a BGB-E entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofes in dessen Beschluss vom 11. Oktober 2000 ein weniger schwererer Eingriff gegenüber einer Unterbringung nach § 1906 BGB gesehen wird.
Eine zwangsweise Gabe von Neuroleptika im Rahmen einer ambulanten Zwangsbehandlung
müsse, so die Entwurfsbegründungen, schon deshalb durch den Gesetzgeber
ermöglicht werden, weil das Selbstgefährdungspotential des Betreuten
mit der abnehmenden Wirkung der Medikation, häufig verbunden mit einem
gleichzeitigen Anstieg der Fremdgefährdung ansteige.
Bereits im Vorfeld einer Unterbringung des Betreuten in einer geschlossenen
Einrichtung müssten daher Möglichkeiten der Abhilfe für diesen
auch gesellschaftlich nicht hinnehmbaren Umstand durch Zwangsmaßnahmen
vorhanden sein.
Für die bisherigen Regelungen der Zwangsmaßnahmen gegen einen Betreuten hat die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt, dass die Fähigkeit eines seelisch erkrankten Betreuten zur Selbstbestimmung häufig erheblich beeinträchtigt sei. 39
In solchen Fällen erlaube die Verfassung dem Staat fürsorgerisches Eingreifen auch dort, wo beim Gesunden Halt geboten sei, da es das Recht dann ermöglichen müsse, den Willen des psychisch Kranken durch die bessere Einsicht des für ihn Verantwortlichen zu ersetzen. Die Einschränkung der Grundrechte eines Betroffenen einer solchen staatlichen Zwangsmassnahme müsse aber aufgrund der Erheblichkeit des Grundrechtseingriffes stets der strengen Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterzogen werden.
Der Betreute darf folglich nur zu einer Behandlung gezwungen werden, wenn ihm sonst ein schwerer Schaden droht und der Eingriff erfolgversprechend erscheint. Nur wenn sich die staatliche Zwangsmassnahme als unumgänglich erweist, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken abzuwenden darf der Betreute mit Zwang vor sich selbst geschützt werden.
Die erforderliche Schwere der Selbstschädigung ist Ausdruck des Erforderlichkeitsprinzips.
Diese Voraussetzung an die Verhältnismäßigkeit hat der Gesetzgeber
im Wortlaut des § 1906 I Nr. 1 BGB ausdrücklich aufgenommen. Rechtsprechung
und Literatur wenden den Erforderlichkeitsgrundsatz in verfassungskonformer
Auslegung auch für § 1906 I Nr. 2 BGB an.
Die Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens setzt dabei ebenso wie
die Gefahr der Selbsttötung konkrete Anhaltspunkte für das Eintreten
der Gefahren sowie die Kausalität zwischen der psychischen Krankheit und
der Gesundheitsbeeinträchtigung voraus.
Die für eine staatliche Zwangsmassnahme erforderliche Gefahr muss wahrscheinlich
sein, die bloße Möglichkeit des Gefahreneintritts genügt nicht.
Eine Feststellung auf einen bestimmten Grad der Wahrscheinlichkeit ist einer
pauschalen Feststellung nicht zugänglich, da diese regelmäßig
von der Schwere der in Betracht kommenden Gefahr abhängt. Es handelt sich
um eine Prognoseentscheidung aufgrund von tatsächlichen Feststellungen,
so dass die bloße Möglichkeit eines Schadeneintrittes nicht ausreicht.
40
Für die Annahme einer erheblichen Gesundheitsschädigung genügt
nicht, dass der Betroffene die Einnahme der zu seiner Behandlung erforderlichen
Medikamente ablehnt und dadurch ein gesundheitlicher Rückfall zu befürchten
ist, 41 es muss vielmehr in jedem Einzelfall festgestellt werden,
inwieweit die Verweigerung der Medikamenteneinnahme zu einer erheblichen Gesundheitsschädigung
führt. 42
Die Verweigerung der Behandlung, die Gefahr eines Rückfalls oder des Ausbruchs
einer Psychose kann keine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Ziff. 1 BGB
rechtfertigen.
Wird eine staatliche Zwangsmassnahme dazu angeordnet, dass Krankheits- und Behandlungseinsicht
bei dem Betroffenen herbeigeführt werden, so bedeutet dies nichts anderes,
als dass die Unterbringung zur Erzwingung der Krankheits- und Behandlungseinsicht
erfolgte, was unzulässig, rechtswidrig ist. 43
Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sieht die ambulante Zwangsbehandlung
und die zwangsweise Zuführung hierzu aufgrund der möglicherweise vom
Betreuten als schwerer empfundenen Auswirkungen nicht als weniger in Grundrechte
des Betreuten eingreifende staatliche Maßnahmen, sondern als andersartigen
Eingriff an. 44
In Anwendung dieser Grundsätze müssten die Voraussetzungen des Erforderlichkeitsprinzips in gleicher Weise für § 1906a BGB-E gelten.
Die konkrete, wie in den Entwurfsbegründungen angedeutet, präventive, Anwendung des § 1906a BGB-E auf "krankheitsuneinsichtige" Betreute, bei denen die Voraussetzungen der erheblichen Selbstschädigung noch nicht vorliegen, dürfte verfassungsrechtlich aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht haltbar sein, insbesondere dann nicht, wenn sie auf eine Erzwingung dieser Krankheits- und Behandlungseinsicht gerichtet wäre.
6. Zusammenfassung
Der Entwurf zu § 1906a BGB nebst den Begründungen begegnet erheblichen
verfassungsrechtlichen Bedenken.
a. Formell bestehen Bedenken vor allem dahingehend, dass durch Entwurf des §
1906a BGB keinerlei materielle Rechtsgrundlage für die ärztliche Zwangsbehandlung,
sondern lediglich für die Zuführungsgenehmigung zu einer solchen ärztlichen
Heilbehandlung geschaffen wird. Aus dem Aufgabenkreis eines Betreuers zur "Zuführung
zur Gesundheitssorge" kann der Betreuer entgegen den Entwürfen zu
§ 1906a BGB-E aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze
der hohen Bedeutung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht einwilligen,
vielmehr bedarf es hierzu einer materiellen Rechtsgrundlage.
b. Materiellrechtlich ist festzustellen, dass der Entwurf des § 1906a
BGB insoweit auf sachfremden, da nicht mit dem ausschließlich am Wohle
des Betreuten orientierten Betreuungsrechtes vereinbaren Erwägungen und
Motivationen beruht, als in den Entwürfen auf die Fremdgefährdung
eines psychisch Kranken abgestellt wird.
Die materiellrechtlichen Voraussetzungen von Zwangsmaßnahmen bei Fremdgefährdung
durch einen psychisch Kranken sind bisher 45 trotz der dem
Bundsgesetzgeber zustehenden Kompetenz für die öffentliche Fürsorge
(Art. 74 Nr. 7 GG) ausschließlich in dem jeweilige Landesrecht der Bundesländer
geregelt worden.
Das Selbstbestimmungsrecht eines Betreuten wird darüber hinaus durch die faktische Beschränkung des "Rechtes auf Krankheit" und der Gefahr einer "ärztlichen Vernunfthoheit" über den gesetzlich betreuten Patienten in verfassungsrechtlich bedenklicher Form eingeschränkt.
Der Verhältnismässigkeitsgrundsatz gebietet es, die Voraussetzungen
einer Zuführungsgenehmigung zur ärztlichen Zwangsbehandlung an ebenso
hohen Erforderlichkeitskriterien zu messen wie die Voraussetzungen einer Unterbringungsgenehmigung
nach § 1906 BGB.
Eine Zuführungsgenehmigung mit präventivem Einschlag ist mit geltendem
Verfassungsrecht jedenfalls nicht vereinbar.
Ettlingen, den 18. Januar 2004
Thomas S a s c h e n b r e c k e r
Rechtsanwalt
1) BR-Drucksache 865/03 (Beschluss)
2) Bundesgerichtshof, Beschluss, XII ZB 69/00 vom 11. Oktober 2000, FamRZ 2001,
S. 149; NJW 2001, S. 888
3) Bundesgerichtshof a.a.O.
4) BR-Drucksache 865/03 (Beschluss), S. 35
5 )BR-Drucksache 865/03 (Beschluss), S. 26
6) Plenarprortokoll 794 vom 28.11.2003, S. 458 f.
7) BR-Drucksache 865/03 (Beschluss), S. 26
8) Plenarprotokoll 794 vom 28.11.2003, S. 460
9) Stellungnahme des Vormundschaftsgerichtstag e.V. zum "Entwurf eines
... Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts" vom 18.12.2003
10) Stellungnahme des Vormundschaftsgerichtstages e.V., Recklinghausen/Schleswig,
vom 18.12.2003
11) Frankfurter Rundschau vom 19. 12. 2003
12) Junge Welt vom 19.12.2003
13) Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie e.V., Stellungnahme vom
08.12.2003
14) Aderhold, Bock, Grewe, Fachliche Stellungnahme zu den geplanten gesetzlichen
Ergänzungen durch den § 1906a BGB und § 70o FGG vom 15.01.2004
15) BR- BR-Drucksache 865/2/03 (neu) vom 18.12.2003
16) vgl. OLG Köln, Beschl. v. 6.09.2002 - 16 Wx 104/2002 m. w. Nachw.
17) BVerfG, 2 BvR 2270/96 vom 23.3.1998 mit weiteren Nachweisen
18) BR-Drucksache 865/03 (Beschluss), S. 26
19) BR-Drucksache 865/03 (Beschluss), S. 26
20) BVerfGe 58,208 (227) m. w. Nachw.
21) BVerfGe, a.a.O.
22) OLG Köln, Beschl. v. 6.09.2002 - 16 Wx 104/2002
23) BR-Drucksache 865/03 (Beschluss), S. 26
24) BVerfGe 10,302 (337 f.) (1 BvR 526/53)
25) BVerfGe 10,302 (337 f.)
26) Bundesgerichtshof, Beschluss, XII ZB 69/00 vom 11. Oktober 2000, FamRZ 2001,
S. 149; NJW 2001, S. 888
27) Vgl. Marschner, RuP 2001, S. 132 (134)
28) BR-Drucksache 865/03 (Beschluss), S. 13, 16
29) vgl. BVerfGE 22, 180 (291) f.)
30) BVerfGE 58, 208 (224 ff.)
31) zuletzt in BVerfG, 2 BvR 2270/96 vom 23.3.1998
32) BVerfGE 58, 208 (225)
33) BVerfGe, a.a.O.
34) BR-Drucksache 865/03 (Beschluss), S. 26
35) Bundesgerichtshof, Beschluss, XII ZB 69/00 vom 11. Oktober 2000, FamRZ 2001,
S. 149; NJW 2001, S. 888
36) Göppinger, Die Justiz, 1968, S. 148 (153)
37) BVerfGE 58, 208 (226)
38) BR-Drucksache 865/03 (Beschluss), S. 35
39) BVerfGE 58, S. 208 (225);
40)BayObLG, BtPrax 1994, S. 211.
41) OLG Zweibrücken, NJW 1974, 610
42) OLG Stuttgart, NJW 1974, 2052
43) LG Frankfurt, R&P 1993, 83; OLG Schleswig, R&P 2000, 29
44) BGH, a.a.O.
45) § 73 Abs. 2, 3 des BSHG vom 30. Juni 1961 (BGBl. I, S. 815), das die
Einweisung gefährdeter Personen zuließ, wurde vom Bundesverfassungsgericht,
BVerfGE 22, 180 (220), für nichtig erklärt